Ulrich Siegmund - Der Wolf im Schafspelz
Ein Portrait, von Christina Christiansen

Er sieht aus, als würde er dir den Rasen mähen, wenn du krank bist.
Er spricht, als wollte er nur helfen.
Und genau das macht ihn so gefährlich.

Ulrich Siegmund ist das freundlichste Gesicht, das der Faschismus je hatte.
34 Jahre alt, verheiratet, Vater, studierter Wirtschaftspsychologe – die perfekte Tarnung für einen, der den Staat von innen umbauen will. Kein Schreihals wie Höcke, kein Grobian mit Fackel und Fahne. Siegmund ist das Update des Extremismus: glatt, gebildet, sympathisch. Der Faschist 2.0 – mit Zahnpastalächeln und Marketingplan.

Er kommt aus Havelberg, einem kleinen Ort in Sachsen-Anhalt. Machte eine Ausbildung zum Kaufmann, arbeitete im Vertrieb, studierte Wirtschaftspsychologie, gründete ein eigenes Marketingunternehmen. Klingt nach Fleiß und Bürgerlichkeit. Aber irgendwo zwischen dem Bachelor und dem Burnout dieser Republik entschied er, dass Macht reizvoller ist als Menschlichkeit. 2014 trat er der AfD bei, 2016 zog er in den Landtag ein, heute ist er Fraktionsvorsitzender und Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2026.
98,3 Prozent Zustimmung – in einer Partei, die vom Verfassungsschutz als „Verdachtsfall gesichert rechtsextrem“ geführt wird.
Das ist kein Zufall, das ist ein System.

Und das System Siegmund funktioniert, weil er nicht aussieht wie Gefahr.
Er ist der Typ, dem du auf der Straße vertraust, bevor du merkst, wem du gerade zuhörst.
Der Typ, der beim Dorffest „Ich sag’s euch mal ehrlich“ sagt – und im selben Atemzug Demokratie demontiert.
Er verkauft Lüge als Ehrlichkeit, Manipulation als Vernunft, Ausgrenzung als gesunden Menschenverstand.
Er ist kein Schreihals, er ist ein Schmeichler. Und genau das ist das wirklich Neue daran.

Er redet einfach, immer einfach, immer glatt.
Er sagt: „Wir schließen Krankenhäuser, Schulen, verlieren Kontrolle.“ Und die Leute nicken.
Weil er es schafft, komplexe Zusammenhänge in einfache Feindbilder zu pressen: Flüchtlinge. Die da oben. Brüssel.
Er bietet Erleichterung für Überforderte – und pflanzt gleichzeitig Misstrauen, Angst, Zorn.
Er verkauft die Ohnmacht der Menschen als Beweis seiner Wahrheit.
Das ist keine Politik, das ist psychologisches Framing.
Und das beherrscht er aus dem Effeff.

Er ist jung, gutaussehend, eloquent – und brandgefährlich.
Denn er zieht nicht nur Radikale an. Er zieht die Mitte. Die „Ich bin ja kein Nazi, aber …“-Fraktion.
Die, die sich belogen fühlen und nach einfachen Antworten suchen.
Er hat TikTok perfektioniert, fast 600.000 Follower, kurze Clips, einfache Botschaften.
„Ich erklär’s euch mal kurz“, sagt er – und was danach kommt, ist keine Erklärung, sondern Gehirnwäsche in Hochglanz.
Er ist kein Politiker – er ist ein Influencer des Hasses.

Und ja, er war in Potsdam. Bei jenem Treffen, bei dem man über „Remigration“ sprach – also darüber, wie man Menschen, die anders aussehen, heißen oder glauben, „zurückführen“ könnte.
Siegmund saß am Tisch, wo man Deportation in nette Worte verpackte.
Danach kam die übliche AfD-Reinigung: „Missverstanden, verzerrt, nur zugehört.“
Aber er verlor seinen Ausschussvorsitz, weil selbst der Landtag wusste, dass man sich nicht aus Versehen an so einem Tisch wiederfindet.

Sachsen-Anhalts AfD wird vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall gesichert rechtsextrem geführt.
Siegmund führt diesen Verband – und kündigt offen an, dass er „keine Koalition“ will, sondern Alleinregierung.
Er will die Macht, nicht den Dialog. Und er weiß, dass er sie kriegen kann, wenn er nur lange genug harmlos wirkt.

Höcke ist der alte Faschist – der Schrei. Siegmund ist der neue – das Flüstern.
Höcke weckt Abwehr, Siegmund weckt Vertrauen.
Höcke stößt ab, Siegmund lädt ein.
Er ist der politisch kultivierte Nachfolger einer Ideologie, die längst wieder gelernt hat, höflich zu sein.
Und genau das ist das Gift.

Wenn die AfD in Sachsen-Anhalt gewinnt, wird sie ihn pushen wie ein Pop-Star-Projekt.
Er wird in Talkshows sitzen, in Dokumentationen auftauchen, als „moderater Rechter“ etikettiert.
Man wird ihn präsentieren als das „vernünftige Gesicht“ der Bewegung.
Und genau dann brennt es.
Nicht im Fernsehen, nicht auf den Straßen – in den Köpfen.
In den Verwaltungen. In den Schulen. In den stillen Räumen, wo Gesetze plötzlich leiser werden.

Denn Siegmund ist kein Anfang, er ist das nächste Stadium.
Der Moment, in dem der Faschismus wieder freundlich lächelt.
Wo man ihn nicht mehr erkennt, weil er so gepflegt daherkommt.
Wo man sich beim Zuhören ertappt und denkt: „Na ja, ganz Unrecht hat er ja nicht.“
Und das ist der Augenblick, in dem Demokratien sterben.
Nicht mit einem Knall.
Sondern mit einem Applaus.

Ulrich Siegmund ist nicht der Zufall – er ist das Ziel.
Er ist das politisch gezüchtete Produkt einer Gesellschaft, die vergessen hat, dass Freiheit Arbeit ist.
Er kommt nicht mit Fackel und Wut, sondern mit Lächeln und Laptop.
Er ruft keine Parolen, er erzählt Geschichten. Und genau das ist das Gefährliche daran.
Wenn jemand wie er an die Macht kommt, wird nicht sofort geschossen, nicht sofort verboten, nicht sofort verbrannt.
Erst wird gelächelt. Dann wird kontrolliert. Dann wird sortiert.
Und am Ende fragt keiner mehr, wie es so weit kommen konnte,
weil alle dachten, das hier sei doch nur Politik.

Aber das ist keine Politik mehr.
Das ist die schleichende Umprogrammierung einer Republik.
Und wer jetzt noch schweigt, wer jetzt noch abwinkt, wer jetzt noch glaubt,
das sei „nur Sachsen-Anhalt“,
der wird sich irgendwann fragen,
warum er das Feuer erst dann gesehen hat,
als das Dach schon brannte.


Quellen zu Ulrich Siegmund

Ulrich Siegmund — Biografie, Ausbildung, politischer Werdegang
landtag.sachsen-anhalt.de/landtag/abgeordnete/abgeordnetensuche/biografien/abgeordneter/ulrich-siegmund/7-wahlperiode

Ulrich Siegmund – Abgeordnetenwatch (Fragen, Antworten, Werdegang)
abgeordnetenwatch.de/profile/ulrich-siegmund

Ulrich Siegmund – Wikipedia (mit Hinweis auf Einstufung durch Verfassungsschutz)
de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Siegmund

Artikel: „Ulrich Siegmund: Der AfD-Schock von Sachsen-Anhalt“
stern.de/politik/deutschland/ulrich-siegmund–der-afd-schock-von-sachsen-anhalt-36043364.html

Artikel: „Ulrich Siegmund hat ‚kein Interesse‘ an Koalitionen“
welt.de/politik/deutschland/plus6893134fecb6874199e8ca71/ulrich-siegmund-wie-der-tiktok-star-der-afd-die-alleinregierung-ansteuert.html

Artikel: „Siegmund – der immer lacht“ (Der rechte Rand)
der-rechte-rand.de/archive/12187/siegmund-afd-der-immer-lacht/


Quellen zu Einstufung der AfD / Rolle des Verfassungsschutzes / „gesichert rechtsextremistisch“

Verfassungsschutz stuft AfD Sachsen-Anhalt als gesichert rechtsextremistisch ein
deutschlandfunk.de/verfassungsschutz-stuft-afd-sachsen-anhalt-als-gesichert-rechtsextremistisch-ein-106.html

Artikel: „Verfassungsschutz: AfD Sachsen-Anhalt gesichert rechtsextremistisch“
rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/verfassungsschutz–afd-sachsen-anhalt-gesichert-rechtsextremistisch

Artikel: „Verfassungsschutz stuft AfD als rechtsextremistisch ein“
lto.de/recht/nachrichten/n/afd-einstufung-rechtsextremistisch-bfv-verfassungsschutz/

Bundesamt für Verfassungsschutz obsiegt vor Verwaltungsgericht – AfD bleibt Verdachtsfall
verfassungsschutz.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2022/pressemitteilung-2022-1-affd.html

Artikel: „AfD als Verdachtsfall eingestuft | bpb.de“
bpb.de/kurz-knapp/taegliche-dosis-politik/505958/afd-als-verdachtsfall-eingestuft/

Artikel: „Verfassungsschutz – Die AfD und der Verdachtsfall“
deutschlandfunk.de/verfassungsschutz-die-afd-und-der-verdachtsfall-100.html

RSW Beck: Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt darf AfD als Verdachtsfall einstufen
rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/vg-magdeburg-afd-einstufung-als-verdachtsfall-bestaetigt

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Von Christina Christiansen

Christina Christiansen arbeitet als freie Autorin und politische Kommentatorin mit Schwerpunkt auf Demokratie, Machtstrukturen und gesellschaftliche Entwicklungen in Deutschland. Mit einem Hintergrund in der Erwachsenenbildung und einer langjährigen Erfahrung in der Analyse politischer Prozesse verbindet sie journalistische Klarheit mit einer pointierten Haltung. Ihre Texte sind geprägt von kritischer Recherche, einer klaren Sprache und dem Anspruch, komplexe Zusammenhänge verständlich und nahbar zu machen. Im Zentrum steht für sie die Aufklärung über autoritäre Tendenzen, Korruption und den Schutz demokratischer Werte. Christiansen veröffentlicht Bücher, Essays und Kommentare zu aktuellen politischen Themen und baut parallel eine wachsende Community in sozialen Netzwerken auf, in der sie für Transparenz, Diskurs und gesellschaftliche Verantwortung eintritt.

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