118 000 Kinder ohne Zuhause – Deutschlands sozialer Offenbarungseid
Deutschland im Jahr 2025. Während die Politik über Haushaltslöcher, Rüstungsausgaben und Steuerdeals streitet, wächst im Schatten eine Katastrophe, die kaum jemand laut benennt: Mehr als 531 600 Menschen sind wohnungslos. Sie schlafen in Notunterkünften, bei Bekannten, in Turnhallen oder auf der Straße. Das ist die Einwohnerzahl einer Großstadt wie Hannover – nur ohne feste Adresse, ohne Sicherheit, ohne Zukunft.
Die nackten Zahlen zeichnen ein Bild des Scheiterns. 474 700 Menschen waren laut Statistischem Bundesamt am 31. Januar 2025 in Einrichtungen untergebracht. Der zweite Wohnungslosenbericht der Bundesregierung geht weiter: 531 600 Menschen in Deutschland ohne eigenen Wohnraum, wenn man die verdeckt Wohnungslosen mitrechnet. Die größten Opfer sind Kinder und Frauen. 41 Prozent aller Betroffenen sind unter 25 Jahre alt, das entspricht 195 000 jungen Menschen, darunter mindestens 118 000 Kinder unter 18 Jahren. Unter den Erwachsenen sind 204 000 Frauen, fast die Hälfte der Betroffenen. Dazu kommen 44 000 junge Menschen unter 27 Jahren, die nach Schätzungen von Off Road Kids akut obdachlos oder direkt bedroht sind. Unter ihnen befinden sich 6 500 Minderjährige – und sogar rund 300 Kinder unter 14 Jahren, die buchstäblich auf der Straße leben.

Besonders drastisch zeigt sich das Elend in Nordrhein-Westfalen, seit 2005 fast ununterbrochen von der CDU regiert. Dort sind laut Landesstatistik 25 Prozent aller Wohnungslosen minderjährig – jedes vierte Kind. Hochgerechnet auf den Bund ergibt das die Zahl, die im Kern des Skandals steht: 118 000 Kinder ohne Zuhause. NRW, das größte Bundesland mit den größten Möglichkeiten, ist zugleich das Symbol für systematisches Versagen: Privatisierungen kommunaler Bestände, abgebauter sozialer Wohnungsbau, jahrzehntelange Vernachlässigung.
Parallel zum Anstieg der Wohnungslosigkeit schrumpfte der Bestand an Sozialwohnungen dramatisch. 2013 gab es noch 1 475 234 Wohnungen mit Mietpreisbindung. 2020 waren es nur noch 1,13 Millionen. 2022 knapp 1,09 Millionen. Ende 2023 noch 1 072 266 Wohnungen. Ein Nettoverlust von 383 000 Sozialwohnungen innerhalb von zehn Jahren. Der Grund: Jährlich fallen 60 000 bis 80 000 Wohnungen aus der Bindung, während kaum 20 000 neue gebaut werden. Das Defizit wächst von Jahr zu Jahr. Heute sprechen Studien von einem Fehlbestand von mehr als 900 000 Sozialwohnungen.
Dabei floss Geld – und zwar in Milliardenhöhe. Die Bundesmittel für die soziale Wohnraumförderung stiegen deutlich:
2013–2015: je 518 Mio. €
2016: 1,018 Mrd. €
2017–2019: je 1,518 Mrd. €
2020: 972 Mio. €
2021: 1,0 Mrd. €
2022: 2,0 Mrd. €
2023: 2,5 Mrd. €
2024: 3,15 Mrd. €
2025: 3,5 Mrd. € (davon 2,03 Mrd. ausgabenwirksam)

Insgesamt mehr als 20 Milliarden Euro in zwölf Jahren. Für 2022 bis 2027 kündigte die Ampel-Regierung ein Paket von 18,15 Mrd. € an. Parallel dazu fließen jährlich 790 Mio. € Städtebauförderung. Das Geld ist da. Die Wohnungen fehlen.
Wo also ist das Geld geblieben? Die Antwort liegt im föderalen System. Der Bund überweist, die Länder entscheiden. Zweckbindungen waren lange schwach oder gar nicht vorhanden. Gelder flossen in Landeshaushalte, in Schuldentilgung, in Sanierungen bestehender Bestände – nicht in Neubau. Gleichzeitig liefen Mietpreisbindungen in großer Zahl aus. Die Neubauten kompensierten das nicht. Bürokratie, Baukostenexplosion und überforderte Investoren taten ihr Übriges. Ergebnis: steigende Milliardenbudgets, sinkender Netto-Bestand.
Die politische Verantwortung ist eindeutig und parteiübergreifend. CDU/CSU und SPD, die von 2013 bis 2021 regierten, haben den Bestand an Sozialwohnungen um fast 400 000 schrumpfen lassen. Warnungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe blieben ungehört. Die Ampel versprach ab 2021 das Gegenteil: 100 000 neue Sozialwohnungen pro Jahr. Geliefert wurden nicht einmal 20 000. Der groß verkündete „Nationale Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit“ ist nicht mehr als ein Etikettenschwindel – viele Maßnahmen waren längst Landesprogramme.
Besonders sichtbar wird das Versagen in NRW, wo die CDU seit zwei Jahrzehnten den Kurs bestimmt und wo die Quote wohnungsloser Kinder besonders hoch ist. Aber auch in Berlin blockierte eine linke Senatorin notwendige Bauprojekte, während die Mieten explodierten. In Bayern unter CSU-Regie bleibt der soziale Wohnungsbau seit Jahren chronisch unterversorgt.
Was bleibt, ist ein Muster: keine Partei, keine Regierung hat den sozialen Wohnungsbau in den letzten zehn Jahren zur Priorität gemacht. Große Ankündigungen, kleine Resultate. Milliarden an Geldern, fast 400 000 Wohnungen weniger.
Die menschliche Bilanz ist brutal. 531 600 Menschen ohne eigenes Zuhause. 118 000 Kinder, die kein eigenes Zimmer, kein eigenes Bett, keine Sicherheit haben. 204 000 Frauen, viele alleinerziehend, die im Schatten unsichtbar bleiben. 44 000 junge Menschen unter 27, die zwischen Sofa, Notquartier und Straße pendeln.
Deutschland 2025 – ein Land, das sich Exportweltmeister nennt, Milliarden für Rüstung und Subventionen bereitstellt, aber nicht in der Lage ist, Kinder vor Obdachlosigkeit zu schützen. Das ist kein Randthema. Das ist ein Staatsversagen.
Ein Land, das 118 000 Kinder ohne Zuhause zurücklässt, hat den moralischen Kompass verloren.
Ein blinder Fleck: Menschen mit Behinderung
Wohnungslosigkeit betrifft nicht nur Familien, Alleinerziehende oder ältere Menschen. Besonders hart trifft sie Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen – eine Gruppe, die in der öffentlichen Debatte fast immer übersehen wird. Studien zeigen: Ein erheblicher Teil der Wohnungslosen leidet an körperlichen oder psychischen Einschränkungen. Viele verlieren ihre Wohnung gerade deshalb, weil sie mit gesundheitlichen Problemen allein gelassen wurden, weil das Hilfesystem versagt hat oder weil Barrieren ihnen den Zugang zu Arbeit und Unterstützung unmöglich machten.
Wer diese Realität verschweigt, verschweigt auch, dass Wohnungslosigkeit kein rein ökonomisches Phänomen ist. Es ist auch eine Folge von Ableismus: von Strukturen, die Menschen mit Behinderung an den Rand drängen, unsichtbar machen und im schlimmsten Fall auf die Straße treiben.
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Quellen & Datenbasis:
Statistisches Bundesamt (Destatis, 2025), Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB, Haushaltsdaten 2013–2025), Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W, Jahresberichte), Deutsches Jugendinstitut (Off Road Kids, 2024), Paritätischer Wohlfahrtsverband (Wohnungsnotbericht 2024), Landesstatistiken NRW (Wohnungslosigkeit Minderjähriger), Deutscher Bundestag Drucksachen 19/24800 & 20/11320, Bundesregierung – Nationaler Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit (2023), Bundesrechnungshof (Wohnungsbauförderung 2022).