Marsalek – Das Phantom von Moskau
Warum Jan Marsalek für Deutschland und Österreich zur unbequemen Figur wurde – und warum viele ihn lieber dort sehen, wo er jetzt ist.
Von außen wirkt es wie eine klassische Jagdgeschichte: Ein milliardenschwerer Betrug, ein flüchtiger Manager, ein internationales Fahndungsnetz. Doch die Wahrheit ist komplizierter. Jan Marsalek, einst Vorstand des DAX-Konzerns Wirecard, ist nicht einfach nur untergetaucht. Er ist zu einem Symbol für politisches Versagen geworden – und für das Schweigen jener, die es besser wissen müssten.
Die Rückkehr des Gespensts
Im September 2025 veröffentlichte ein internationales Journalistenteam – ZDF Frontal, SPIEGEL, The Insider, Der Standard – Bilder, Daten und Dokumente, die Marsaleks Aufenthalt in Moskau zweifelsfrei belegen. Unter falschem Namen, ausgestattet mit einem russischen Pass, lebt er im Dunstkreis des FSB. Mehr als 300 Handyortungen zeigen ihn in direkter Nähe der Lubjanka, dem Sitz des Geheimdienstes. Fotos dokumentieren Reisen in besetzte Gebiete der Ukraine.
Damit wurde öffentlich, was Insider längst vermuteten: Marsalek genießt Schutz auf höchster Ebene in Russland.
Wer kein Interesse hatte, ihn zurückzuholen
1. Angela Merkel & das Kanzleramt
2019 nahm Merkel Wirecard auf ihre China-Reise. Vorausgegangen war Lobbyarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg, der im Kanzleramt vorgesprochen hatte. Ziel: Wirecard sollte als „deutscher Digital-Champion“ im Ausland Fuß fassen. Hätte Marsalek in Deutschland ausgesagt, wären diese direkten Kontakte offengelegt worden. Für Merkel stand ihr politisches Erbe auf dem Spiel. Ein Prozess hätte sie zur Mitverantwortlichen eines Jahrhundertbetrugs gemacht.
2. Olaf Scholz
Als Finanzminister trug er Verantwortung für die Aufsichtsbehörden BaFin und FIU. Beide versagten. Warnungen über Geldwäsche und Bilanzfälschung wurden ignoriert oder verschleppt. Ein Marsalek-Prozess hätte gezeigt, wie früh und wie eindeutig das Versagen war – und wie wenig Scholz dagegen tat. Für seine Kanzlerkandidatur brauchte er Ruhe, nicht Skandale.
3. Karl-Theodor zu Guttenberg
Der Ex-Minister wollte sein Image als globaler Netzwerker aufpolieren. Seine direkte Lobbyarbeit für Wirecard ist dokumentiert. Ein Prozess mit Marsalek hätte diese Verstrickung noch deutlicher gemacht – und jede Chance auf eine politische Rückkehr endgültig zerstört.
4. BaFin & FIU
Die Finanzaufsicht und die Geldwäsche-Einheit standen am Pranger. Verdachtsmeldungen lagen vor, doch sie wurden nicht weitergeleitet. Journalisten, die Wirecard kritisierten, gerieten selbst ins Visier. Ein Prozess hätte ihre Fehler noch sichtbarer gemacht. Die Behördenführung hatte kein Interesse, den größten Kronzeugen ins Land zu holen.
5. CSU/CDU allgemein
Wirecard galt lange als Symbol des „Standorts Deutschland“. Politiker aller Lager lobten das Unternehmen. Ein Prozess hätte vor allem CDU und CSU in die Defensive gebracht, die Wirtschaftskompetenz als Kern ihrer Marke beschädigt.
6. Russische Dienste (FSB/GRU)
Für Russland ist Marsalek ein Gewinn. Er bringt Wissen über Finanzsysteme, internationale Netzwerke und westliche Schwachstellen mit. Als Auslieferungsobjekt ist er wertlos, als Informant Gold wert. Moskau schützt ihn nicht aus Freundlichkeit, sondern aus klarem Eigeninteresse.
7. Österreichische Verbindungen
In Wien nutzte Marsalek Kontakte in den Verfassungsschutz und zu FPÖ-nahen Kreisen. Der Fall Egisto Ott, Ex-Geheimdienstler, zeigt, wie tief das Netz ging. Ein Prozess in München hätte Österreichs Rolle offengelegt – eine internationale Blamage.
8. Wirtschaft, Banken, Investoren
Viele verloren Milliarden, doch ebenso viele hatten Wirecard hofiert, geprüft, investiert. Ein Prozess mit Marsalek als Zeugen hätte Banken, Wirtschaftsprüfer und Aufsichtsstrukturen ins Rampenlicht gezerrt. Auch das wollte niemand.
9. Internationale Partner
Die EU, die USA, Investoren in Asien – sie alle beobachteten Wirecard. Doch ein Kronzeuge Marsalek hätte geopolitische Dimensionen eröffnet: seine Kontakte nach Libyen, Syrien, zu OPCW-Dokumenten und russischen Diensten. Zu viele offene Flanken, zu viel Risiko für neue diplomatische Krisen.
Die Quintessenz
Jan Marsalek ist nicht nur ein gesuchter Wirtschaftskrimineller. Er ist ein Schlüsselzeuge. Einer, der auspacken könnte, wie Politik, Aufsicht und Lobbyisten versagt haben. Einer, der Namen nennen könnte – von Merkel bis Scholz, von Guttenberg bis in die Aufsichtsbehörden.
Genau deshalb ist es für viele einfacher, dass er in Moskau bleibt. Für Russland ist er ein Gewinn, für deutsche und österreichische Politik ein entlastendes Schweigen.
Der Wirecard-Skandal war ein Finanzdrama. Doch die eigentliche Geschichte ist politisch: Ein Staat, der nicht aufklären wollte. Ein Kanzleramt, das hofierte. Ein Finanzminister, der wegsehen konnte. Und ein flüchtiger Manager, der so unbequem ist, dass alle froh sind, ihn nicht vor Gericht zu sehen.
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Quellenlage zum Wirecard-Skandal und Jan Marsalek
- ZDF Frontal / Der Spiegel / The Insider / Der Standard / PBS Frontline (2025)
– Investigative Recherche zur Lokalisierung von Jan Marsalek in Moskau, Identität „Alexander Nelidow“, russischer Pass, Handyortungen in der Nähe der FSB-Zentrale. - Bellingcat, Der Spiegel, The Insider (2020)
– Enthüllungen zur Flucht Marsaleks über Wien und Belarus nach Russland, enge Kontakte zu russischen Geheimdiensten (GRU, FSB). - Bundestags-Untersuchungsausschuss Wirecard (Abschlussbericht 2021)
– Befund „kollektives Aufsichtsversagen“, Verantwortung von BaFin und FIU, politische Verantwortung des Finanzministeriums unter Olaf Scholz. - Handelsblatt, Süddeutsche Zeitung, FAZ (2019–2021)
– Berichte über Lobbyarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg im Kanzleramt, Wirecard-Themen auf Merkels China-Reise. - Süddeutsche Zeitung, Profil, Der Standard (2021–2024)
– Berichte über Österreichs Rolle, insbesondere die Verstrickungen des BVT, Affäre Egisto Ott, mögliche FPÖ-Verbindungen. - BaFin-Pressemitteilungen und Regierungsdokumente (2020–2021)
– Rücktritte der BaFin-Spitze, Reformankündigungen, Ernennung von Mark Branson. - WirtschaftsWoche, Financial Times, Bloomberg (2018–2020)
– Frühe kritische Berichte über Wirecards Bilanzfälschungen und Zweifel an Asiengeschäften. - Der Spiegel, ARD Panorama, ZDF Frontal (2020–2023)
– Hintergrund zu FIU, Verdachtsmeldungen und mangelnder Weiterleitung an Strafverfolgungsbehörden. - Internationale Fachpublikationen (u. a. OCCRP, Bellingcat, Insider)
– Hinweise auf Marsaleks Aktivitäten in Libyen, Syrien, OPCW-Dokumente und Nähe zu russischen Operationen.